Wie ist das jetzt mit unserer neuen Eiszeit?

Kommentar Klimafolgen Klimadebatte
Sonntag, 03.03.2024
Der Zusammenbruch des Golfstroms: Warum die Erderhitzung in Europa Kälte bringen könnte.

Dieser Text erschien als Kolumne bei Newsflix.at

Aber was jetzt? Hitze oder Kälte? Ist sich die Wissenschaft tatsächlich nicht einig? Wie so oft bei komplexen Themen wie der Klimakrise ist die Antwort vielschichtig: Beides kann gleichzeitig wahr sein. Wie? Ich versuche mich hier an einer Erklärung: Sieht man sich die Temperatur im Schnitt auf der ganzen Welt an, wird es weiterhin heißer. Das mit der Erderhitzung stimmt also, und sie schreitet voran. Darüber herrscht in der Klimawissenschaft Einigkeit.

Kälte sorgt für erhitzte Gemüter Gleichzeitig kann es aber aufgrund von Klimawandelfolgen an manchen Orten deutlich kälter werden. Wie das möglich ist? Die gigantische Atlantische Umwälzströmung AMOC, wir kennen sie auch als Golfstrom, bringt warme Luft nach Europa und gilt als Schlüsselelement für das Klima auf unserem Planeten. Noch in diesem Jahrhundert könnte es zu einem Zusammenbruch des gewaltigen Förderbandes im Atlantik kommen. Das zeigt die aktuelle Studie aus den Niederlanden, die in den sozialen Medien für erhitzte Gemüter sorgt.

Neue Studie Dieser Kollaps passiert als unmittelbare Folge der Erderhitzung: Durch das schmelzende Polareis gelangt zunehmend kaltes Süßwasser in den Atlantik und schwächt die Strömung ab. Passiert das zu lange, bricht das gigantische Wasserförderband vollständig zusammen. Als Möglichkeit war das der Wissenschaft schon lange bekannt und kommt als Kipppunkt auch im Bericht des Weltklimarates vor. Doch die neue Studie konnte mit ihrem Modell klar zeigen, dass ein Kollaps wahrscheinlicher ist als angenommen, und wir uns auf dem Weg dorthin befinden.

Winter um 8 Grad kälter Da der Golfstrom dafür sorgt, dass das Klima in Europa milder ist, als man für diese Breitengrade erwarten würde, hat sein Kollaps weitreichende Folgen. Auf Österreich heruntergebrochen prognostiziert die niederländische Studie einen Rückgang der Wintertemperatur um 8 °C. In Norwegen sinken die Temperaturen sogar um bis zu 35° C. Im Sommer wird der Effekt durch die Erderhitzung weitgehend kompensiert – es kommt also zu starken Temperaturschwankungen.

Mögliche Temperaturveränderungen innerhalb eines Jahrhunderts ab Kollaps des AMOC in unterschiedlichen Städten Europas; Van Westen et al., 2024; ©KONTEXT

Weniger Schnee Diese drastischen Temperaturschwankungen haben noch weitere Auswirkungen: da das im Winter vereiste Meer nahezu kein Wasser verdunsten lässt, nimmt der Niederschlag in den Wintermonaten stark ab. Auch global ändern sich die Niederschlagsmuster. Laut OECD sind die Auswirkungen für die Lebensmittelversorgung fatal: Mehr als die Hälfte der Anbauflächen für Mais und Weizen würden verschwinden. Aktuell sind keine realistischen Anpassungsmaßnahmen in Sicht, die uns in die Lage versetzen könnten, mit derart raschen Temperaturveränderungen umzugehen.

Land unter in Amsterdam Zusätzlich würde der Meeresspiegel aufgrund der veränderten Strömungsdynamik im Nordatlantik um bis zu einem Meter ansteigen. Städte wie Amsterdam, Hamburg oder Bremen wären dann die längste Zeit Touristenmagneten gewesen. In den Ländern des Südens würde sich die Erwärmung, andersherum als in Europa, verstärken. Im Amazonasgebiet könnten sich gar Regen- und Trockenzeiten umkehren. Damit würde der bereits geschwächte Regenwald seinen eigenen Kipppunktüberschreiten und die Temperaturen auf der ganzen Welt enorm ins Wanken bringen.

Das wirklich Dumme an Kipppunkten ist ja: Sind sie erst einmal überschritten, lassen sich die Folgen nicht einfach rückgängig machen.

Ab nächstem Jahr wird es kritisch Aber wie wahrscheinlich ist der Kollaps des Golfstroms? Die niederländische Studie zeigt deutlich, dass wir uns darauf zubewegen. Wann wir den Kipppunkt genau erreichen, ist noch offen. Die Wissenschaftler:innen halten einen Zeitraum zwischen 2025 und 2095 für realistisch. Den Zeitraum einzugrenzen, wird Gegenstand der weiteren Forschung sein. Was jedoch klar ist: Da der Golfstrom-Kollaps eine Folge der Erderhitzung ist, sind dieselben Maßnahmen wirksam, mit denen wir auch die Klimakrise bremsen.

Was wir tun müssen Fossile Brennstoffe – also Öl, Kohle und Gas – müssen als Energielieferanten so rasch wie möglich durch erneuerbare Alternativen ersetzt werden. Das heißt im allerersten Schritt: keine neuen Kraftwerke und fossilen Infrastrukturen mehr zu bauen. Denn derzeit überschreiten die geplanten Projekte für neue Kohle- und Gaskraftwerke, Raffinerien, Flüssiggasterminals, Autobahnen oder Flughäfen unser CO2-Budget bei Weitem. Und es bedeutet auch, dass klimaschädliche Förderungen – in Österreich sind das rund EUR 5,7 Mrd. pro Jahr für Benzin, Kerosin, Dienstautos, Pendlerpauschalen oder fossile Energieträger – deutlich reduziert werden müssen.

Es ändert sich wenig Insofern hat sich die Aussage der Klimawissenschaft nicht stark verändert. Es wird weiterhin global heißer, und das ist eine Gefahr für das komplexe Klimasystem. Durch die Folgen der Erhitzung – wie der Kollaps des Golfstroms eben eine ist – kann es zwar regional zu kühleren Temperaturen kommen, das hebelt aber den globalen Trend nicht aus und ist selbst in Europa vor allem auf die Wintermonate beschränkt. Die Folgen insgesamt wären aber so fatal, dass sich eine Diskussion darüber jedenfalls lohnt. Denn es steht viel auf dem Spiel.

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