Klimaminister Norbert Totschnig kündigte im Juli das lang erwartete Klimagesetz an, im Herbst soll es in Begutachtung gehen. Die zentrale Frage wird – neben verbindlichen Sektorzielen, Zeitläufen und Verantwortlichkeiten – sein, ob Klimaneutralität 2040 als Ziel verbindlich festgeschrieben wird. Obwohl das Ziel im Regierungsprogramm steht, ist es in dem jüngst öffentlich gewordenen Entwurf des Gesetzes (Stand Ende Juni) nicht enthalten. Soll Österreich ambitioniert vorangehen mit seinem Ziel, bereits 2040 klimaneutral zu werden? Die kurze Antwort: Auf jeden Fall.
Klimaneutralität bis 2040 ist mehr als ein ökologisches Ziel. Sie ist ein zentraler Hebel für wirtschaftliche Stärke, geopolitische Resilienz und soziale Stabilität. Die aktuelle österreichische Bundesregierung hat das Ziel bereits im Regierungsprogramm festgelegt. Damit Österreich den Umbau gestalten und die Vorteile eines ambitionierten, entschlossenen Handelns nutzen kann, ist es notwendig, das Ziel nun im Klimaschutzgesetz gesetzlich zu verankern. So kann Verbindlichkeit und Planungssicherheit geschaffen werden, anstatt durch Zögern an Wettbewerbsfähigkeit und Lebensqualität zu verlieren.
Die folgenden fünf Perspektiven zeigen, warum Klimaneutralität bis 2040 für Österreich sinnvoll, machbar und notwendig ist – für Gesellschaft, Wirtschaft und Sicherheit.
Klimaneutralität bis 2040 ist für Österreich…
1. Wirtschaftlich sinnvoll
Stärkung der Wirtschaftsleistung: Eine zügige Transformation steigert die Wertschöpfung, allein durch die Industrie um 2,3–3 Prozent. Laut einer Studie der Energieagentur kann die Energiewende in Österreich bis 2040 jährlich über 21.000 neue Arbeitsplätze schaffen, insbesondere in den Bereichen Gebäudesanierung, erneuerbare Wärme und Photovoltaik. Ein großer Teil dieser Beschäftigung entsteht in Klein- und Mittelunternehmen, insbesondere im Bau- und Installationsbereich.
Vorreiterrolle und Innovationschancen: Der weltweite Markt für klimafreundliche Technologien wächst exponentiell. Länder wie China investieren gezielt, während Europa in wichtigen Bereichen wie Photovoltaik und Elektromobilität bereits Marktanteile verloren hat. Österreich kann durch Investitionen in klimafreundliche Technologien und Geschäftsfelder ins Spitzenfeld gelangen. Im Bereich der Gebäudetechnologien und der Eisenbahntechnololgien liegt Österreich gemessen an der Erfindungsdichte (Patente pro Kopf) weltweit auf Platz 1. Auch im Bereich Kreislaufwirtschaft bestehen große Potenziale. Die geplanten EU Circular Economy Hubs im Rahmen des Circular Economy Act bieten die Chance, diese Stärken mit den richtigen politischen Rahmenbedingungen auszubauen, und eine wettbewerbsfähige Exportwirtschaft zu etablieren. Jetzt ist der Zeitpunkt, um zu entscheiden, ob Österreich bei der Ökologisierung vorne dabei ist oder in industrielle Bedeutungslosigkeit zurückfällt.
Standortvorteile durch erneuerbare Energien: Erneuerbare Energien entwickeln sich zunehmend zu einem entscheidenden Standortfaktor. Unternehmen investieren bevorzugt dort, wo Energie langfristig günstig, sauber und verlässlich verfügbar ist. Dieser sogenannte „Renewables Pull“-Effekt führt zur Entstehung neuer industrieller Cluster. Das heißt, wer früh auf erneuerbare Versorgung setzt, zieht Wertschöpfung und zukunftsfähige Arbeitsplätze an. Frühzeitige Schritte in Richtung Klimaneutralität bis 2040 erhöhen somit die Chancen, dass Österreich ein attraktiver Industriestandort für zukunftsfähige Unternehmen wird und bleibt.
Planungssicherheit: Viele Unternehmen haben sich bereits auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 eingestellt. Zahlreiche Vertreter:innen aus der Wirtschaft betonen regelmäßig, wie wichtig stabile Rahmenbedingungen für langfristige Investitionsentscheidungen sind und auch empirische Evidenz zeigt, dass politisches Risiko ein wesentliches Hemmnis für Investitionen darstellt. Planungssicherheit durch klare, ambitionierte Zielvorgaben ist daher ein zentraler Standortfaktor.
2. Technisch machbar
Technologien vorhanden: Die Transform.Industry-Studie analysiert 13 Industriesektoren und zeigt, dass jene zentralen Technologien, die es für Klimaneutralität bis 2040 braucht, bereits verfügbar sind.
Transformation planbar: Laut einer Studie der JKU Linz und dem AIT können Energie- und Investitionsbedarf bis 2040 konkret beziffert werden. Damit ist die Transformation nicht nur technisch möglich, sondern auch strategisch planbar.
3. Sicherheitspolitisch notwendig
Reduktion fossiler Erpressbarkeit: Russland drohte bereits vor dem Krieg in der Ukraine mindestens 55 Mal mit der Unterbrechung fossiler Lieferungen oder setzte diese tatsächlich um. Auch die USA nutzten Flüssiggasexporte als politisches Machtinstrument, wie sich unter Präsident Trump zeigte. Die Energiewende und ambitionierte Elektrifizierung aller Sektoren beendeten solche Abhängigkeiten. Gleichzeitig senkt der Umstieg auf effizientere erneuerbare Systeme den Energieverbrauch um rund 20 Prozent.
Strategische Unabhängigkeit durch Kreislaufwirtschaft: Um den stark steigenden Bedarf an kritischen Rohstoffen zu begrenzen, ist eine leistungsfähige Kreislaufwirtschaft unerlässlich. Laut einer Studie von Transport & Environment könnten durch konsequentes Recycling bis 2040 etwa 32 Prozent des Lithium- und bis zu 95 Prozent des Kobaltbedarfs für Elektroautos gedeckt werden. Ein klares Bekenntnis zur Klimaneutralität bis 2040 schafft den notwendigen politischen Rahmen, um diesen Umbau rechtzeitig einzuleiten und geopolitische Abhängigkeiten wirksam zu reduzieren.
Wirtschaftliche Resilienz: Fossile Preisschocks wirken sich direkt auf Inflation, Lebenshaltungskosten und Beschäftigung aus. Laut einer wiiw-Studie im Auftrag von KONTEXT würde ein 80-prozentiger Anstieg der Gaspreise allein im ersten Jahr über 10 Milliarden Euro wirtschaftlichen Schaden in emissionsintensiven Sektoren verursachen und rund 74.000 Arbeitsplätze kosten. Ein rascher Ausstieg aus fossiler Energie stärkt daher auch die wirtschaftliche Resilienz.
4. Finanziell vorausschauend
Kosten des Nicht-Handelns: Seit 2022 hat Österreich über 12 Milliarden Euro für russisches Gas gezahlt. Das Handelsbilanzdefizit durch fossile Energieimporte lag im Jahr 2022 bei über 19 Milliarden Euro. Zusätzlich fließen jährlich zwischen 4,1 bis 5,7 Milliarden Euro in klimaschädliche Subventionen. Diese Zahlen zeigen, dass abwarten kein Sparen bedeutet, sondern bereits heute zu erheblichen und vermeidbaren volkswirtschaftlichen Belastungen führt. Hinzu kommen drohende Strafzahlungen in Milliardenhöhe: Sollte Österreich seine EU-Klimaziele für 2030 verfehlen, könnten laut einer vom Finanzministerium beauftragten Studie bis zu 5,9 Milliarden Euro fällig werden.
Früher ist günstiger als später: Verzögerungen beim Übergang verursachen langfristig deutlich höhere Kosten. Der Bau neuer fossiler Infrastrukturen beispielsweise schafft sogenannte „Lock-ins“, die später kostenintensiv rückgebaut werden müssen. Zudem erfordert eine Verzögerung des Übergangs eine schnellere Skalierung von Technologien oder Sektoren, was mit höheren Kosten verbunden ist. Darüber hinaus können CO₂-Senken durch ungenügende Maßnahmen verloren gehen, was eine spätere und kostenintensive Wiederherstellung erforderlich macht. Die Internationale Energieagentur beziffert im „Delayed Action Case“ zusätzliche Kosten von 1,3 Milliarden US-Dollar weltweit pro Jahr. Wird der Klimapfad um neun Jahre verzögert, steigen die Gesamtkosten der Transformation um 72 Prozent, berechnet Energy Innovation. Das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 ermöglicht es, rechtzeitig und schrittweise zu investieren und so hohe Zusatzkosten durch Verzögerung zu vermeiden.
5. Gesellschaftlich entscheidend
Klimafolgen: Jeder zusätzliche Tag mit Temperaturen über 30 °C erhöht die Sommersterblichkeit um 2,4 Prozent, in Regionen mit älterer Bevölkerung verdoppelt sich dieser Effekt sogar. Auch Extremwetter und Hochwasser verursachen massive Schäden: Das Jahrhunderthochwasser im September 2024 verursachte laut WIFO mindestens 1,3 Milliarden Euro Schaden und die wetterbedingten Verluste in der Landwirtschaft beliefen sich laut Hagelversicherung 2024 auf 260 Millionen Euro. Klimaneutralität bis 2040 hilft, solche Risiken zu reduzieren und Lebensqualität zu sichern.
Aktive Zukunftsgestaltung: Klimaneutralität 2040 steht für Verantwortung, Vision und Gestaltungswille. Es zeigt die Stärke, die Realität anzuerkennen, entschlossen zu handeln und aktiv eine lebenswerte Zukunft zu gestalten. Ein Rückzug vom Ziel würde Österreichs internationale Glaubwürdigkeit schwächen, ein klares Festhalten daran stärkt die Vorbildrolle und sendet ein Signal der Verlässlichkeit und Ambition im globalen Klimaschutz.
Fazit
Was auf EU-Ebene verpasst wurde, sollte Österreich als Chance nützen: Klimaneutralität bis 2040 ist wirtschaftlich sinnvoll, technisch machbar, sicherheitspolitisch notwendig, finanziell vorausschauend und gesellschaftlich entscheidend. Die genannten Argumente bauen exemplarisch auf die breite fachliche Evidenz, die dieses Ziel stützt. Darüber hinaus ist Verlässlichkeit ein wesentlicher Grundpfeiler glaubwürdiger Politik. An klaren Zusagen festzuhalten, stärkt das Vertrauen in politische Prozesse. Klimaneutralität bis 2040 ist damit mehr als ein klimapolitisches Ziel – sie steht für verantwortungsvolles Handeln, Weitblick und die aktive Gestaltung einer sicheren und zukunftsfähigen Gesellschaft.