Wie Europa strategisch unabhängig wird, und Österreich auch

Kommentar EU Klimapolitik
Mittwoch, 12.02.2025
Wir sind nicht so schlecht, wie wir oft glauben. Österreich liegt etwa bei Patenten im Bereich Clean Tech (relativ zur Bevölkerung) weltweit auf Platz neun. Expertin Katharina Rogenhofer sagt, was nun zu tun ist: autokratischen Staaten keine Macht geben.

Dieser Text erschien als Kolumne bei Newsflix.at

Von Davos über Brüssel bis München wird in diesen Tagen die globale Sicherheitslage bewertet und dabei nehmen Klimathemen immer mehr Raum ein. Für Europa und Österreich muss in der Beantwortung dieser Frage vor allem um eines gehen: strategische Unabhängigkeit.

Wir schreiben das Jahr 2000. Billige Energie aus Russland und ölreichen Ländern im Mittleren Osten und verlängerte Werkbänke in Drittländern, die Just-in-Time liefern, lassen Europas Industrie mit günstig produzierten High-End-Produkten am Weltmarkt erfolgreich sein.
 

Die USA, die freundliche Partnerin auf der anderen Seite des Atlantiks, garantieren den Zugang zu neuester Technologie und militärischem Schutz.

Die Globalisierung und verlässlich funktionierende Lieferketten, gestützt von einer stabilen internationalen Ordnung, machen es möglich, auf wirtschaftliche Effizienz zu setzen. Die schmutzige Erbeutung von kritischen Rohstoffen und die Folgen für das Klima sind hingenommenes Übel.

Nur 25 Jahre später bröckelt dieses Selbstverständnis an allen Ecken und Enden. Die internationale Ordnung ist fragil, neue Kriege und Konflikte erschüttern globale Märkte. Lieferketten geraten ins Stocken. Billige Energiequellen sind versiegt. Die industriellen High-End-Produkte werden andernorts nun günstiger produziert. Die USA ist nicht mehr die freundliche Partnerin von nebenan: wirtschaftliche Verstrickungen erweisen sich zunehmend als Gefahrenquellen und militärischer Schutz als Erpressungsmasse.

 

Raus aus der Erpressbarkeit: Ökologisierung als Schlüssel

Wenn, wie kürzlich in Davos oder am kommenden Wochenende auf der Sicherheitskonferenz in München, führende Sicherheitsexpert:innen aktuelle Bedrohungslagen bewerten, dann geht es neben den unmittelbaren militärischen Konflikten auch um die Gefahren durch Extremwetter, Ernährungssicherheit und die Notwendigkeit größerer "strategischer Autonomie" der EU.

Europas Wohlstand und Sicherheit waren durch Abhängigkeiten teuer erkauft. Billiges Gas aus Russland und die Auslagerung vieler Produktionsprozesse sicherten wirtschaftliche Vorteile. Das Streben nach Effizienz ging zu Lasten der Resilienz. Heute steht nicht nur der Wohlstand Europas auf dem Spiel, sondern auch die Sicherheit.

Um eine selbstbestimmte Zukunft zu garantieren, muss Europa sich in der geopolitischen Situation neu erfinden – und das beginnt damit, sich aus den Abhängigkeiten zu lösen. Die Ökologisierung der Gesellschaft und Wirtschaft ist der Schlüssel für strategische Unabhängigkeit bei Energie, Technologien und Ressourcen. Sie schafft damit aber nicht nur Sicherheit, sondern auch neuen Wohlstand.

 

Ende der Energieabhängigkeit

Derzeit importiert Österreich zwei Drittel der Energie, die verbraucht wird. Das vor allem in Form von Öl und Gas aus Ländern wie Kasachstan, dem Irak und Libyen. Um von fossilen Importen unabhängig werden zu können und nicht zum Spielball autokratischer Willkür zu werden, muss Europa in der Lage sein sich weitgehend selbst zu versorgen – und das geht nur mit erneuerbaren Energien.

Die Defence Research Agency in Stockholm zählte zwischen 1991 und 2006 – also lange vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und den darauffolgenden EU-Sanktionen – mindestens 55 Fälle, in denen Moskau die Gaslieferung an das Ausland entweder aussetzte oder zumindest damit drohte, meist verbunden mit politischen Forderungen.

Die "Österreichische Sicherheitsstrategie" aus dem Vorjahr hält explizit fest, dass "Russland Energie- und Lebensmittelexporte gezielt als Waffe" einsetzt. Diese Art von Erpressbarkeit kann sich Österreich nicht mehr leisten, sie macht uns verwundbar und schadet gleichzeitig direkt der Bevölkerung und Wirtschaft.

Denn Gaspreisschocks, wie jener, der durch Russlands Angriff auf die Ukraine ausgelöst wurde, heizen Energiepreise und die Inflation an. Die Produktion wird teurer, der tägliche Einkauf auch, sowohl Betriebe als auch Haushalte leiden ganz massiv unter den steigenden Preisen. Das birgt wiederum die Gefahr von sozialen und politischen Verwerfungen. Polarisierung und Zulauf zu politischen Extremen sind die Folge – zu beobachten aktuell in vielen Staaten in Europa und Amerika.

Solarenergie und Windkraft hingegen sind mittelfristig die günstigsten und sichersten Energiequellen und sichern uns dagegen ab, ein Spielball autokratischer Staaten zu werden. Sie machen uns unabhängig, freier und lassen die Produktionskosten für Unternehmen und die Lebenserhaltungskosten der Menschen sinken.

 

Ende der Technologieabhängigkeit

Für das Ende der Energieabhängigkeit ist aber nicht nur der Ausbau der erneuerbaren Energien notwendig, sondern auch der Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen sowie die Elektrifizierung industrieller Prozesse und des Verkehrs. Das wiederum setzt die Weiterentwicklung und den Einsatz von Technologien wie Wärmepumpen, Geothermie, Speichern, grünem Wasserstoff oder E-Mobilität, voraus.

Sowohl bei E-Autos, Photovoltaik-Anlagen als auch bei Batterien dominiert China heute den Weltmarkt. Das war eine strategische Entscheidung – China will genau in diesen wachsenden Feldern führend sein. Auch hier besteht nun die Gefahr, neue Abhängigkeiten zu produzieren und vor allem auch langfristig Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen.

Auch wenn in manchen Bereichen das Rennen um Zukunftstechnologien schon geschlagen scheint, gibt es noch in vielen Bereichen das Potential, führend zu werden und zu bleiben. In der EU werden etwa doppelt so viele Patente im Bereich Clean Tech angemeldet als in den USA. Österreich rangiert bei diesen Patenten (relativ zur Bevölkerung) weltweit auf Platz neun. Dieses Potential für Zukunftstechnologien zu nutzen, ist nur eine der richtigen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen.

 

Ende der Ressourcenabhängigkeit

Österreich ist wie viele andere Länder auf funktionierende internationale Lieferketten und die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen angewiesen. Auch diese Versorgung kann von geopolitischen Verwerfungen gestört oder von willkürlichen Autokraten als politisches Druckmittel genutzt werden.

Das Risikobild 2025 des Bundesheers identifiziert hier ein "sehr hohes Risiko durch ausgeprägte strategische Abhängigkeiten der österreichischen Wirtschaft von einzelnen Staaten". Um diese Abhängigkeiten zu reduzieren, sollten laut dem Bericht nicht nur österreichische und europäische Lieferketten und die gemeinsame europäische Beschaffung gestärkt werden, sondern auch "zirkuläre Geschäftsmodelle" ausgebaut werden.

Denn die Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft schafft strategische Unabhängigkeit von kritischen Rohstoffen wie Metallen und seltenen Erden. Gerade in Bereichen der Ressourcen- und Abfallaufbereitung sind Europa und auch Österreich führend. Das kann strategisch genutzt und zu einem großen geopolitischen Vorteil werden.

Die EU-Kommission schätzt, dass der aktuelle Marktwert der Kreislaufwirtschaft von aktuell 31 Milliarden Euro bis 2030 auf 100 Milliarden Euro steigen und damit mehr als verdreifacht werden kann. Auf diese Weise sollen 500.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

 

Klimapolitik ist Sicherheitspolitik ist Wirtschaftspolitik ist Klimapolitik ...

Die Ökologisierung der Wirtschaft und Gesellschaft reduziert demnach Abhängigkeiten und schafft Sicherheit. Auch die Zeiten, in denen die die Zuspitzung der Klimakrise als Übel hingenommen wurden, sind vorbei: Klimafolgen, wie Extremwetterereignisse, das Artensterben oder Ernteausfälle rangieren in den gängigen Risikoberichten weit oben.

Unter den Top-10 der langfristigen Risiken des "Global Risk Report 2025" des Weltwirtschaftsforums gehen die ersten vier Plätze an klima- und umweltbezogene Risiken. Auch das Risikobild des Bundesheers geht sehr umfassend auf diese Bedrohungen ein.

Klimapolitik ist im 21. Jahrhundert demnach nicht nur Wirtschaftspolitik. Sie ist auch Sicherheitspolitik.

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