Es würden zu viele Pflichten und Haftungsrisiken auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) abgewälzt, so die Argumentation. Dieses Veto wurde von anderen Mitgliedsstaaten stark kritisiert, denn in den zweijährigen Verhandlungsprozess waren die Mitgliedsstaaten intensiv eingebunden. Darüber hinaus gab es in EU-weiten und nationalen Konsultationen über den gesamten Zeitraum breite Beteiligungsmöglichkeiten für alle Stakeholder wie Interessenvertretungen und NGOs. Die vor allem von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer geäußerte Kritik am Gesetzesentwurf ist verwunderlich, insbesondere aufgrund der Argumentation. Werden EU-Rechtsakte pauschal abgelehnt, nehmen sich Interessenvertretungen und Parteien die Möglichkeit, gesetzliche Rahmenbedingungen mitzugestalten. Sie verstärken so nicht nur die EU-kritische Haltung und Polarisierung der Gesellschaft, sondern verhindern auch konstruktive Ansätze und pragmatische Prozesse.
Das Lieferkettengesetz gilt für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter:innen bzw. mehr als 150 Millionen Euro Umsatz. Das Argument, dass das Gesetz zu übermäßigen finanziellen Belastungen führt und für kleinere Unternehmen nicht bewältigbar wäre, greift so also nicht: KMUs – mehr als 99,6 Prozent der österreichischen Unternehmen – sind nicht vom Gesetz erfasst. Nur 0,4 Prozent der Unternehmen in Österreich sind so groß, dass sie das Lieferkettengesetz betrifft, EU-weit etwa 20.000. KMUs selbst müssen nur dann Informationen über ihre Lieferkette geben, wenn sie große Unternehmen direkt beliefern. Doch hier sieht die Richtlinie finanzielle Unterstützungsmaßnahmen vor. Gleichzeitig greifen vorgesehene Haftungsmechanismen vor allem, wenn Berichtspflichten mutwillig ignoriert werden. Darüber hinaus ist klar geregelt, dass große Unternehmen die Kosten nicht an ihre Zulieferer weiterreichen dürfen. Da in Deutschland bereits ein wesentlich strengeres Lieferkettengesetz in Kraft ist, scheint das diskutierte EU-Gesetz in der Argumentation mit dem deutschen vermischt zu werden.
Selbst für die vom Lieferkettengesetz eingeschlossenen Unternehmen dürften die Umsetzungskosten gering sein. Der Ausschuss für Regulierungskontrolle der EU-Kommission schätzt die jährlichen Umsetzungskosten auf 0,10 Prozent des Umsatzes für mittelgroße Unternehmen und 0,006 Prozent für große und sehr große. Die Kosten für die öffentliche Verwaltung in den EU- Staaten werden auf 20 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Das sind verhältnismäßig kleine Summen. Da aber gerade im Aufbau einer Nachweisführung Ressourcen gebunden sind, ist im aktuellen Entwurf auf europäischer Ebene noch Spielraum gegeben, wenn nachgewiesen werden kann, dass wirksame Prozesse aufgebaut werden.
Einige europäische Länder wie Frankreich und Deutschland haben auf Basis der bisher freiwilligen Standards der UN und OECD bereits Lieferkettengesetze auf nationaler Ebene eingeführt. Viele Unternehmen kennen und beobachten ihre Lieferketten schon heute sehr gut, und zwar im eigenen Interesse, etwa im Hinblick auf Qualitätsstandards. Unerwähnt bleibt oft, dass sich viele Unternehmen – auch in Österreich im Rahmen des Appells der Wirtschaft im Oktober 2023 – für ein Lieferkettengesetz ausgesprochen haben. Die deutsche Wochenzeitung die Zeit hat offene Briefe und Stellungnahmen ausgewertet und kommt zum Schluss, dass mehr als 4.000 deutsche und internationale Unternehmen ein ambitioniertes Lieferkettengesetz befürworten. Nicht zuletzt deshalb, weil die Einhaltung von Standards für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (kurz: ESG) nachweislich positive Effekte auf die finanzielle Performance von Firmen hat. Ein EU-Lieferkettengesetz führt auch zu mehr Planungssicherheit und fairen Wettbewerbsbedingungen. Unternehmen bekommen dadurch mehr Klarheit über die eigenen Risiken, Konsument:innen werden durch mehr Transparenz in ihren Kaufentscheidungen unterstützt.