Warum 2030 mit den Klimaversprechen abgerechnet wird

Kommentar Klimapolitik Wirtschaft Technologien
Sunday, 26.05.2024
Viele Klimaschutzpläne messen ihr Gelingen am Jahr 2030. Was muss bis dahin passieren? Wo stehen wir? Und was hat Österreichs Nationalratswahl damit zu tun? Katharina Rogenhofer zum Jahr der Abrechnung.

Dieser Text erschien als Kolumne bei Newsflix.at. 

2030 scheint noch weit entfernt. Und doch beginnt das neue Jahrzehnt schon in fünf Jahren. Bis dahin sind viele Ziele festgelegt – im internationalen Klimaabkommen von Paris, im Green Deal der EU, in den Emissionsreduktionspläne von USA und Kanada: Wohin man auch blickt, ist das Jahr 2030 eine Art Zäsur in der Klimapolitik.

Zurück in die Gegenwart: 2024 ist ein Jahr der Weichenstellung – international wie in Österreich. Der Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA wird massive Auswirkungen auf den globalen Umweltschutz haben. Auch Österreich wählt im Herbst eine neue Regierung – die (voraussichtlich) letzte, die unsere Klimabilanz 2030 noch beeinflussen kann. Sie hat also große Verantwortung.

Von fossilen Energieträgern wegzukommen ist dabei die Kernaufgabe. Die Gründe dafür sind vielfältig – Umweltverschmutzung, Kosten und Sicherheitsfragen. Dass die Ökologisierung bereits in vollem Gange ist, zeigen verschiedene Trends eindeutig: Investitionen in erneuerbare Energieträger nehmen zu. Im Jahr 2023 wurden global rund 1.770 Milliarden US-Dollar in die Energiewende investiert, achtmal so viel wie noch vor zehn Jahren. Auch die Verkaufszahlen von Zukunftstechnologien wie PV-Anlagen, Elektroautos, Windkraftanlagen und Wärmepumpen kontinuierlich. Besonders in den letzten Jahren wird der ökologische Umbau und dessen Folgen auf den globalen Märkten immer deutlicher.

Die Verkaufszahlen von Zukunftstechnologie schießen in die Höhe © KONTEXT

Aber: Derzeit läuft die Weltwirtschaft noch vorwiegend mit Kohle, Öl und Gas – mit negativen Folgen, die weit über Umweltverschmutzung hinausgehen.

Unsere Wirtschaft ist strukturell abhängig von fossilen Energieträgern

Ein Blick auf die bisherigen Phasen der Industrialisierung zeigt, wie Europa abhängig von Kohle, Gas und Öl und damit auch von anderen Regionen der Erde wurde: Seit der Erfindung der Dampfmaschine vor rund 250 Jahren hat sich unsere Lebensrealität grundlegend verändert. Diese erste Welle der Industrialisierung machte Energie unabhängig von menschlicher Arbeitskraft nutzbar und legte den Grundstein für weitere technologische Entwicklungen. Die folgende Mechanisierung und schließlich die Digitalisierung stellen weitere Industrialisierungswellen dar und haben die Produktionsweisen und die gesamte Wirtschaftsstruktur Schritt für Schritt revolutioniert.

Allen bisherigen Industrialisierungswellen ist eines gemeinsam: Sie führten zu einem massiven Anstieg des Energieverbrauchs, der überwiegend auf fossilen Energieträgern basierte.

Öl, Kohle und Gas: krisenanfällig und ineffizient

Mehr als die Hälfte aller industriellen Prozesse in der EU werden nach wie vor durch fossile Energien angetrieben. Insgesamt stammen fast 70 Prozent der Energie in der EU aus fossilen Quellen. Dabei ist die Europäische Union stark von Importen aus Drittstaaten angewiesen: Im Jahr 2021 lag die Importabhängigkeit von Erdgas bei 83 Prozent, jene von Öl sogar bei 91 Prozent. Im Jahr 2021 kamen 83 Prozent der fossilen Energien aus Drittstaaten.

Dass fossile Energien in Europa größtenteils importiert werden, führt zu hohen Energiepreisen und Kaufkraftabflüssen im Vergleich zu Ländern wie etwa den USA. So war Gas in Europa im Schnitt der Vorkrisenjahre (2011-2019) mehr als doppelt so teuer wie in den USA. Nach Beginn des Ukraine-Kriegs stieg der europäische Gaspreis im Schnitt der darauffolgenden Monate sogar auf das fünffache des amerikanischen an. Denn Preise für fossile Energieträger sind gerade für Europa nicht nur überproportional hoch, sondern auch volatil und hochsensibel gegenüber externen Schocks. Geopolitische Krisen, Kriege und andere unvorhersehbare Ereignisse können einen starken Einfluss auf ihr Preisniveau haben.

Eine Preissteigerung fossiler Energieträger hat wiederum gravierende Folgen für Produktions- und Verbraucherpreise. Die Verteuerung von Haushaltsenergie, Diesel und Benzin war 2022 allein für ein Drittel der historisch hohen Inflationsrate von 8,6 Prozent verantwortlich.

Zusätzlich sind fossile Energieträger enorm ineffizient: Knapp drei Viertel der weltweit eingesetzten Primärenergie geht durch die Umwandlung in nutzbare Energie verloren. Bei der Stromerzeugung durch Öl, Kohle und Gas ist der Verlust besonders hoch. Energien aus erneuerbaren Energieträgern hingegen können mit weitaus geringeren Verlusten nutzbar gemacht werden.

Luft nach oben im globalen Vergleich

Mit dem Green Deal hat Europa die ersten Schritte zur Ökologisierung gesetzt, doch der Weg ist weit. Wo stehen wir im globalen Vergleich? Im relativen Vergleich mit China und den USA führt Europa in der erneuerbaren Stromproduktion, das zeigen Daten der Internationalen Energieagentur. Die Geschwindigkeit aber lässt nach: Innerhalb von zehn Jahren (2021 vs. 2011) hat China seine erneuerbare Stromproduktion mehr als verdreifacht, in Europa ist sie im selben Zeitraum nur halb so stark angestiegen. Bei der Elektrifizierung aller Sektoren deckte China 2021 fast 30 Prozent seines Energieverbrauchs mit Strom ab, verglichen mit 21-22 Prozent in Europa und den USA. Hier gilt es, aufzuholen.

Ökologisierung der größten Wirtschaftszonen: Innerhalb von zehn Jahren hat China seine erneuerbare Stromproduktion mehr als verdreifacht © KONTEXT

Die EU-Wahl als Chance effizienter Ökologisierung

Die Transformation hin zu einer ökologischen industriellen Ära ist unumgänglich und hat bereits begonnen. Die aktuelle, strukturelle Abhängigkeit von fossilen Energieträgern bringt nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische und sicherheitspolitische Nachteile mit sich. Die Liste der Vorteile, wenn wir den Umbau beschleunigen, ist hingegen lang: Energieunabhängigkeit, Sicherheit, stabilere Preise, Wettbewerbsvorteile und natürlich eine Reduktion der Emissionen, sind nur ein paar. In Europa und in Österreich können wir uns nun entscheiden, ob wir die Vorteile und Chancen der Ökologisierung nutzen, oder lieber an veralteten Technologien festhalten wollen.

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